Ein Dorf in der Nähe von Limoges
Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, ermordeten 150 Soldaten der Waffen-SS des Regimentes “Der Führer” in Oradour-sur-Glane 642 Menschen, darunter 245 Frauen und 207 Kinder. Nur 36 Personen überlebten das Massaker. Das Dorf selbst wurde geplündert und in Schutt und Asche gelegt.
Kaum einer der Verantwortlichen für das Massaker in Oradour wurde juristisch zur Verantwortung gezogen. 1953 kam es zu einem größeren Prozess vor einem Militärgericht in Bordeaux. Trotz langjähriger Haftstrafen wurden die letzten Täter 1959 aus französischer Haft entlassen. Ein Verantwortlicher, Adolf Diekmann, starb am 29. Juni 1944 bei Kämpfen in der Normandie. Ein weiterer Verantwortlicher, Heinz Lammerding, tauchte bis 1958 unter und wurde nicht von Deutschland an Frankreich ausgeliefert. Er arbeitete als Bauunternehmer in Düsseldorf und starb dort 1971 (offensichtlich kamen zu seiner Beerdigung laut der AG Friedensforschung, Florence Hervé, 2014, 200 ehemalige SS-Männer). In der DDR wurde ein weiterer Täter, Heinz Barth, zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde 1997 wegen schlechten Gesundheitszustands aus dem Gefängnis entlassen und starb 2007. Richtig zur Verantwortung gezogen wurden diese Verbrecher von Oradour also nicht.

An Mariä Himmelfahrt am 15.08.2021 besuchten wir diesen Ort. Es war sonnig, alles wirkte friedlich. Wenn man genauer hinschaute, ergriff uns nacktes Grauen. Alle Häuser haben kein Dach mehr, sie sind überwuchert von Efeu und Unkraut, kahle Oberleitungsmasten stehen sinnlos am Wegesrand, Straßenbahnschienen führen nirgendwohin, verrostete Nähmaschinen, Fahrräder und Autowracks sind zu sehen. An den jeweiligen Häusern kann man erkennen, wer damals hier wohnte. Oradour scheint ein lebhaftes Dorf gewesen zu sein, mit zahlreichen Handwerkern, Näherinnen, Stoffläden, Schuster, Lebensmittelläden, Bars, Cafés und Restaurants.

Auf dem damaligen und heutigen Friedhof der Gemeinde entdeckten wir die Namen derer, die uns schon beim Rundgang durchs komplett zerstörte Dorf begegnet sind. Zum Beispiel lesen wir den des Wirtes Monsieur Brandy und sehen ein kleines Foto.

Nur 46 Jahre alt ist er geworden. Eine Bilderwand gegen das Vergessen erinnert zudem zu Beginns des Rundgangs. Von fast allen Opfern sind hier Fotos zu sehen, kleine Kinder, hübsche Bräute, ältere und jüngere Personen und alle scheinen einem zuzurufen:
Als erstes deutsches Staatsoberhaupt besuchte der damalige Bundespräsident Joachim Gauck im Jahr 2013 die Mahn- und Gedenkstätte in Oradour. In seiner Rede sagte er: “Wenn ich heute in die Augen derer blicke, die von diesem Verbrechen gezeichnet sind, kann ich hier in Oradour sagen: Ich teile die Bitterkeit darüber, dass Mörder nicht zur Verantwortung gezogen wurden, dass schwerste Verbrechen ungesühnt blieben. Sie ist meine Bitterkeit.”
Ist das nicht ein zu spätes Eingeständnis des Versagens der Justiz? Unentschuldbar!
Lieber Ulrich, der Wortlaut der Rede von dem damaligen Bundespräsident Joachim Gauck war uns nicht bekannt. Vielen Dank für deinen Kommentar.
R&P